Tinnitus
Das Wort Tinnitus kommt aus dem Lateinischen und bedeutet „Klingeln, Geklingel“ oder auch „laut singen“. Als „Tinnitus“ werden gehörte Wahrnehmungen bezeichnet, denen keine tatsächlichen akustischen Signale aus der Umwelt entsprechen und die keinen Informationswert für den Betroffenen besitzen. Immer mehr Menschen sind von Tinnitus betroffen. In den USA wird die Anzahl der an Tinnitus Leidenden mit 40 Millionen angegeben. In Deutschland liegt die Zahl der Betroffenen bei ca. 3 Millionen, in Österreich bei rund 800.000. Geschätzt wird, dass jeder 6. Mensch irgendwann in seinem Leben nicht nur kurzzeitig von Ohrgeräuschen betroffen ist. Dabei sind besonders Jugendliche in den Industrienationen betroffen, ca. 60-80% von ihnen sollen bereits Erfahrungen mit Tinnitus gemacht haben.
Die meisten Erwachsenen haben irgendwann in ihrem Leben zumindest kurzzeitig Ohrgeräusche erlebt. Während ein Teil der Menschen gut mit ihrem Tinnitus auskommt, fühlen sich 8 % der Bevölkerung in Industriestaaten durch ihr Ohrgeräusch im Alltagsleben belästigt, haben Konzentrationsstörungen, weisen Schlafstörungen auf oder haben mit bedingt durch den Tinnitus Depressionen. Bei etwa 0,5 % hat das Ohrgeräusch den Stellenwert einer eigenständigen Krankheit. Viele Menschen mit Tinnitus glauben, dass sie an einer schweren körperlichen Erkrankung leiden. In den meisten Fällen findet sich jedoch keine Ursache und es handelt sich oft um eine vorübergehende Störung.
Tinnitus kommt in jedem Alter vor, die Häufigkeit nimmt aber mit dem Alter in Verbindung mit anderen Hörstörungen zu. Die Zahl derer, die angeben, ihr Tinnitus sei nach einem emotionalen Ereignis oder einer Stresssituation aufgetreten, ist sehr viel höher als die Zahl jener, die eine körperliche Ursache nennen können. Obwohl in den Medien immer wieder darauf hingewiesen wird, gehen Menschen jedoch leider nicht sofort nach Eintreten der Symptomatik zum Arzt, sondern warten zunächst längere Zeit auf das Verschwinden der Ohrgeräusche. Hierdurch wird u.U. wertvolle Zeit für eine schnelle Therapie verschenkt. Bereits manifestierte Ohrgeräusche sind in ihrer Behandlung z.T. sehr viel aufwendiger und die Therapieaussichten sind deutlich reduziert. 2003 betrugen die jährlichen, durch unbehandelte Hörstörungen in den EU-Staaten anfallenden Kosten 92 Milliarden Euro – oder 228 Euro für jeden EU-Bürger.
Die wichtigste Behandlung besteht zunächst in einer umfassende Erklärung über die Tinnitusentstehung, eine fundierte ärztliche Diagnostik, die individuelle Beratung durch kompetente Fachleute, um falsche Ängste der Betroffenen auszuräumen. In den allermeisten Fällen finden sich keine schwerwiegenden körperlichen Erkrankungen. Es gibt jedoch zahlreiche körperliche Ursachen, die einem Tinnitus zugrunde liegen können: Bluthochdruck, Halswirbelsäulenerkrankungen, Kiefergelenksschäden, Gefäßverengungen oder Ausbuchtungen der Halsschlagader oder von Gefäßen im Ohr, Herzklappenerkrankungen, Blutung, Anämie, Cholesterinstörungen, abgelaufene Entzündungen (Röteln, Toxoplasmose oder Grippe), Medikamente (wie Salicylsäure), Vergiftungen, eine Unter- oder Überfunktionen der Schilddrüse, Diabetes, lokale Krankheiten wie z.B. ein Ohrpfropf im Gehörgang, langdauernde Entzündungen im Mittelohr oder Tumore im Innenohr, im Hörnerv, im Hirnstamm oder in der Hörrinde des Gehirns. Meist lässt sich jedoch keine dieser konkreten, körperlichen Ursachen finden. Bei der Entstehung eines Tinnitus spielen häufig Stress und psychische Belastungssituationen eine wichtige Rolle, die über das vegetative Nervensystem die psychophysische Befindlichkeit beeinflussen und z.B. auch einen Hörsturz auslösen können.
Aufbauend auf den diagnostischen Basisuntersuchungen können weitere Methoden zum Einsatz kommen. Hierbei sind in erster Linie Schichtaufnahmen des Schädels (Computertomogramm oder Kernspintomogramm), Ultraschalluntersuchungen der Halsgefäße, Laboruntersuchungen (Blutbild, Entzündungszeichen, Hormone, Viren wie Herpes) sowie weitere fachärztliche Beurteilungen (Internist, Neurologe, Orthopäde, Kieferorthopäde u. a.) zu nennen.
An erster Stelle geht es im Patienten-Arzt-Gespräch darum, die Patienten umfassend über die Hintergründe, Ursachen, Behandlungsansätze und den adäquaten Umgang mit der Hörstörung zu informieren und ihnen die häufig feststellbare Verunsicherung über das plötzliche Auftreten der Hörstörung zu nehmen. Diese Informationsangebote sollen die Patienten zu einem Grundverständnis über die eigene Erkrankung führen.
Auf der nächsten Ebene werden den Patienten bereits in der Akutphase der Hörstörung konkrete Techniken und praktische Übungen zum Umgang mit der Erkrankung an die Hand zu geben, um somit eine mögliche Chronifizierung abfangen zu können.
Schwerpunkte der Tinnitusbehandlung bestehen z.B. in der täglichen innenohraktiven Infusionstherapie bei akutem Tinnitus, sowie einem umfangreichen Behandlungsprogramm in Form von Physiotherapie/Krankengymnastik, manualtherapeutischer Untersuchung und Behandlung (Wirbelsäulenerkrankungen, insbesondere an der Hals- und Brustwirbelsäule, sind häufig an der Entstehung von akuten Hörstörungen ursächlich beteiligt), Sauerstofftherapie, psychologischer Beratung und Stressbewältigung. Die Patienten werden über die Entstehungshintergründe (biologische Stressreaktion) und Grenzen von gesundem und kranken Streß aufgeklärt und effektive Ansätze zur individuellen Stressbewältigung vermittelt (Progressive Muskelrelaxation nach Jacobson u.a.).
Besteht der Tinnitus länger als 3 Monate, so spricht man definitionsgemäß von einem chronischen Tinnitus. Hier ist wiederum eine umfassende Beratung und Diagnostik durch den erfahrenen Arzt notwendig. Im Gegensatz zum akuten Tinnitus ist jedoch eine medikamentöse Therapie zur Stabilisierung der Hörsinneszellen nur bedingt sinnvoll, da sich der Schaden schon manifestiert hat, d.h. die Nervenzellen sind nach so langer Zeit wahrscheinlich irreparabel geschädigt.
Der sogenannte chronische Tinnitus kann das Wohlbefinden und die Lebensqualität der davon Betroffenen nachhaltig stören. Folgekrankheiten wie Schlafstörungen, Depressionen, Immunstörungen oder soziale Folgen wie Rückzug aus der Gemeinschaft, Arbeitsunfähigkeit drohen oder können auftreten. In diesem Fall spricht man von einem chronisch dekompensierten Tinnitus. Patienten, welche sich bereits an „ihren“ Tinnitus gewöhnt haben, bedürfen meist keiner weiteren Therapie, man spricht dann von einem chronisch kompensierten Tinnitus. Die Behandlung beim chronisch dekompensierten Tinnitus ist so angelegt, dass der Patient auch mit dem Ohrgeräusch wieder Lebensqualität gewinnt und ihm Lebensfreude ermöglicht wird. In günstigen Fällen verschwindet der Tinnitus auch vollständig.
Dabei gilt es, mit Hilfe ganz real zu machender Erfahrungen durch Hör- und Geräuschtherapie Befürchtungen nacherlebbar auszuräumen. Nicht selten zeigt sich aber auch, dass hinter dem Tinnitus-Leiden weitergehende Probleme verborgen sein können. Dies gilt für ernsthafte depressive Verstimmungen ebenso wie für massive Konflikte etwa familiärer Art oder am Arbeitsplatz. Hier kann intensive Psychotherapie helfen, die Verkoppelung von Tinnitus, Problemen und Gefühlen zu lösen.
Unterstützt werden kann die Tinnitustherapie ggf. durch die Anpassung von speziellen Hörgeräten mit integrierter Tinnitustherapieeinheit nach ausführlicher Beratung und Information des Patienten.
Es besteht die Möglichkeit, eine sogenannte Tinnitus- Retraining- Therapy (TRT) oder eine Akustische Neuromodulation (ANM) ambulant einzuleiten.